Patanjali Yoga Sutra 1.50

तज्जस्संस्कारोऽन्यसंस्कार प्रतिबन्धी
Tajjah samskâro ’nyasamskârapratibandhî

Taj-jah – aus ihm geboren, aus ihm entstanden

samskâra – Prägung, Neigung; psychische Muster, Eindrücke

anya – von anderen

prati-bandhî – das, was im Weg steht, verhindern, ersetzen

Mit dem Wachsen der aus dem Yoga entstehenden neuen Tendenz des Geistes verlieren alle anderen Tendenzen, die auf falschem Verstehen beruhen ihren Einfluss.

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir unsere alten Muster vollständig hinter uns gelassen haben; sie schlummern noch immer in der Tiefe.

Entstehung und Auswirkung von negativen Samskaras

Folgen wir der yogischen Sichtweise des Karma, so erhalten wir unsere Samskaras bereits vor der Geburt und unter Einfluss von Eltern und Umwelt bilden sich Verhaltensmuster aus, die sich im Verlauf der Kindheit und Jugend vertiefen.

Nicht alle Konditionierungen sind automatisch negativ. Doch mit Yoga, Meditation, Atemübungen (Pranayama) und Selbstreflektion (Svadyaya) wenden wir uns jenen Prägungen zu, die uns schaden und die verhindern, dass wir uns weiterentwickeln. Negative Samskaras umfassen sowohl Muster als auch individuelle Eindrücke, Ideen oder Handlungen. Es sind oft jene Verhaltensweisen und Überzeugungen, die bereits in früher Kindheit erworben wurden. Manche mussten wir uns aneigenen, weil es uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich war, anders zu reagieren und uns zu schützen.


Kommentar Alan Finger, Tantra of the Yoga Sutra, Essential Wisdom for Living with Awareness and Grace

Hier ist eine großartige Analogie, die uns hilft zu verstehen, wie Vrittis, Samskarasa und Karma funktionieren. Wenn du in einen stillen See schaust, kannst du sehen, was unter dem Wasser ist. Wenn dort unten in den Tiefen eine glänzende Münze liegt, kann man sie sehen. Du kannst sie als das sehen, was sie ist. Wenn sich jedoch die Oberfläche kräuselt wird was darunter erscheint verzerrt sein. Dieselbe Münze kann wie ein großer, sich bewegender Fisch aussehen. Vritti sind die Kräuselungen auf der Oberfläche des Sees. Sie sind die Aktivität des Geistes, der Sinneseindrücke, mentale Bilder, Gedanken, Emotionen und Prägungen in Bezug auf Beurteilung und Unterscheidung umfasst. Vrittis sind unsere Reaktion auf Sinneseindrücke. Wenn die Vrittis zur Ruhe kommen, können wir durch die Oberfläche hindurchsehen und unsere tieferen Muster verstehen, was uns die Tür zur karmischen Transformation öffnet. Wir können sehen, dass das, was wir für einen Fisch hielten, in Wirklichkeit nur eine Münze ist. Die Samskaras sind die Münzen und andere Objekte in den Tiefen des Sees, die wir nicht sehen können, wenn der Geist nicht still ist. Sie sind Teil unseres individuellen Karmas, der Erfahrungen, die wir im Leben machen und die wir aufarbeiten sollen. Wenn wir das verstehen können, werden wir nicht in das Drama des Lebens mit seinen Reaktionen und Mustern, die von der Vritti geschaffen werden, hineingezogen oder bleiben darin stecken. Wenn wir Yoga üben, können wir unsere Samskaras erkennen und loslassen, anstatt sie zu verzerren oder mit ihnen zu kämpfen. Das erlaubt uns, unser Karma effizient und anmutig zu bewältigen und nicht aus glänzenden Münzen große Fische zu machen.

„Das jüngste Kind“ – Ein Beispiel

Wenn ich das jüngste Kind in der Familie war, bleibe ich das höchst wahrscheinlich immer. Duch diese Rolle habe ich vielleicht erlernt, dass ich mich gegenüber älteren Geschwistern lautstark behaupten muss. Vielleicht habe ich auch das Gefühl entwickelt, „irgendwie zu kurz zu kommen“.

Diese Prägungen mögen dazu führen, dass ich auch als Erwachsener mit anderen wetteifere und stets meine, mich beweisen zu müssen. Oder ich wünsche mir in all meinen Beziehungen viel Aufmerksamkeit.

„Wir sind unbestreitbar Gewohnheitstiere, un die physischen, mentalen und emotionalen Orte, zu denen wir uns oft hingezogen fühlen, sind die gut navigierten Glaxien des negativen Samskara“

Sankalpa als Werkzeug zur Veränderung von Samskara

Sankalpa: Absicht, Intention, Vorsatz

Samskaras tummeln sich also haufenweise tief in unserem Unterbewusstsein. Und genau hier ermöglicht Sankalpa, die Absicht, eine nachhaltige Veränderung. Im Beispiel oben, könnte vielleicht das Sankalpa „Ich bin mir selbst genug. Ich bin gesehen und geliebt“ hilfreich auf eine positive Veränderung wirken.

Sankalpa in der Yogapraxis

Der Zustand im Yoga Nidra zwischen Wachen und Schlafen, bietet einen idealen Ausgangspunkt, um unser Sankalpa zu finden. Hier können wir auf tiefere Bewusstseinsebenen zugreifen, erfassen wichtige Gefühle und Themen intuitiv und nicht über den Verstand. Haben wir unsere Absicht für uns klar formuliert, wenden wir uns während der gesamten Yogapraxis dieser immer wieder ganz bewusst zu. Dadurch findet das Sankalpa den Weg zurück in unser Unterbewusstsein – wir schreiben quasi alte Programmierungen um.

Wie finde ich das für mich passende Sankalpa?

• Der ehrliche und liebevolle Blick ins Innere: Was stört und belastet mich?
  Welches Verhalten möchte ich loslassen? Welche Bedürfnisse stehen hinter meinem Verhalten und meinen Handlungen?
  Welche Veränderung wünsche ich mir von Herzen?

• Klare und positive Formulierung: Das Sankalpa soll positiv und prägnant formuliert werden.
   Es ist als Aussage der Gegenwart zu beschreiben, die den erreichten Zustand benennt und nicht den Wunsch in der Zukunft.

• Beispielformulierungen
– „Ich werde nicht wütend sein und wünsche mich nicht zu ärgern.“ (Ungeeignet: vage und negativ formuliert)
+ „Ich bin ruhig und gelassen.“(Geeignet: klar, positiv, als Zustand formuliert)

• Hilfreiche Methoden: Es kann helfen, das Sankalpa aufzuschreiben, oder es mehrmals vor sich hin zu sagen. Wie fühlt es sich an? Was lösen diese
   Worte aus? Manchmal hat schon eine kleine Umformulierung eine große Auswirkung
   („Ich bleibe ruhig und gelassen“ – „Ich bin ruhig und gelassen“).

Indem du dein Sankalpa immer wieder einsetzt, kannst du deinen Geist ausrichten und mit der Zeit, für dich förderliche Samskaras entwickeln.

Tapas als Werkzeug zur Veränderung


Tapas: das innere Feuer / Disziplin

Durch Selbstdisziplin und das Reduzieren von Unreinheiten entfalten sich der Körper und die Sinne zu ihrer Vollkommenheit.Die Wachheit des Körpers und der Sinne gehen aus einem disziplinierten Lebensstil hervor.

Tapas meint das innere Feuer, das uns zum Handeln antreibt, die Disziplin, ohne die wir nicht weiterkommen können. Der brennende Wunsch ein Ziel zu erreichen. Wobei hier wieder bei aller Beharrlichkeit auch die Gelassenheit eine wichtige Rolle spielt, damit wir nicht verbissen werden. Außerdem beinhaltet Taps die Disziplin, auf die Dinge zu verzichten, die uns nicht gut tun. Der Körper wird dadurch gereinigt und von Schlacken befreit. Deshalb ist aufmerksames Üben auf der Ebene des Körpers, ein achtsamer Umgang mit dem Atem und unseren Essgewohnheiten sehr bedeutsam. 

Um den Kreislauf der negativen Samskaras zu ändern, benötigt es:
•Yogapraxis
•Meditation
•Selbststudium

 Die neuronale Plastizität unseres Gehirns erlaubt es uns, neue und förderliche Muster zu entwickeln.

Unter neuronaler Plastizität versteht man die Eigenart von Synapsen, Nervenzellen oder auch ganzen Hirnarealen, sich zwecks Optimierung laufender Prozesse nutzungsabhängig in ihrer Anatomie und Funktion zu verändern.          

 Ist diese Veränderung einfach? Nein, definitiv nicht.

Genauso, wie es im Tiefschnee viele Fußtritte braucht, die sich allmählich zu einem Weg/Samskara entwickeln, brauchen wir die Disziplin, uns von neuem auf den Weg der Veränderung zu machen. Es handelt sich dabei um Tapas, d.h. die Disziplin, regelmäßig zu üben. Erinnere Dich immer wieder daran, wie Du durch das Gehen neuer Wege, Deine Dir nicht förderlichen Samskaras allmählich auflösen kannst.

 Für eine dauerhafte Veränderung lohnt es sich, die vorgestellten Praktiken kontinuierlich zu nutzen und in den Tagesablauf zu integrieren.

Die Langsamkeit als Werkzeug zur Veränderung

In seinem Buch „Das weise Herz“ beschreibt Jack Kornfield, wie er sich bei einem seiner Aufenthalte im Kloster in Asien in der Langsamkeit übte. Die Novizen waren aufgefordert, alles so langsam und so bewusst wie möglich zu machen. Indem wir uns in dieser Langsamkeit üben, dehnen wir unsere Wahrnehmung immer weiter aus und werden uns unseres Handelns immer bewusster.

Hierdurch bekommen wir die Möglichkeit, bewusst zu entscheiden, wie die neue Verhaltensweise aussehen soll und diese dann auch zu praktizieren. So beschrieben, scheint es recht simpel. In der Realität sieht es jedoch völlig anders aus. Auch wenn wir die neue Verhaltensweise schon über einen längeren Zeitraum einüben, verfallen wir in Stresssituationen doch wieder schnell zurück in das alte Muster oder negative Samskara.

Wir müssen uns klar darüber sein, dass eine Verhaltensveränderung keinen linearen Verlauf nehmen wird. Bis wir ein neues Verhalten etablieren, gehört es quasi zur Entwicklung dazu, dass wir immer mal wieder in unser altes Muster zurückfallen. Jedoch werden die Abstände zwischen diesen sogenannten „Rückfällen“ immer größer. Und mit der Zeit verschwinden sie dann ganz heimlich aus unserem Leben.

Indem wir uns also mit viel Gelassenheit immer wieder darauf ausrichten, wie wir uns fühlen wollen, das neue Verhalten immer wieder üben und wiederholen, lassen wir allmählich ein neues, förderliches Samskara entstehen. Die Langsamkeit, die Jack Kornfield in seinem Buch beschreibt, ist hier ein hilfreicher Begleiter. 

Auch Spitzensportler machen sich das zunutze. Sie beobachten Schlüsselmomente – wie Zieleinläufe oder Absprünge – in Zeitlupe und verbessern so ihre Disziplin. Genauso können wir die Langsamkeit zu unserem Vorteil nutzen und dadurch unsere Lebensqualität verbessern.

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